Samstag, 24. Januar 2009
 
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Geschrieben von Attac   
Freitag, 16. November 2007

Die Rolle der globalen Finanzmärkte – Probleme und Alternativen
Positionspapier von Attac-Österreich, Oktober 2007

Viele Menschen verbinden die „globalen Finanzmärkte“ mit negativen Entwicklungen wie Krisengefahr, Spekulation und zuviel Macht in wenigen Händen. Tatsächlich unterstützen Finanzmärkte die Wirtschaft oft nicht mehr, sondern dominieren sie. Sowohl Unternehmen als auch Staaten stehen zunehmend unter ihrem Druck. Vieles scheint verkehrt.
Dabei erfüllen Finanzmärkte grundsätzlich eine wesentliche Funktion. Sie finanzieren die Erzeugung und den Konsum von Waren und Dienstleistungen in der so genannten Realwirtschaft. Wer Geld gespart hat, kann es auf den Finanzmärkten anlegen. Dann kann dieses Geld Unternehmen, Regierungen und Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden, die es für Investitionen oder Konsum brauchen. Weiters können auf Finanzmärkten Währungen getauscht werden, was notwendig ist, um im internationalen Handel ausländische Produkte zu kaufen oder im Ausland zu investieren.
Diese Funktionen haben aber in den letzten Jahrzehnten relativ an Bedeutung verloren. Statt die Realwirtschaft zu unterstützen, bestimmen die Finanzmärkte immer stärker unternehmerische und wirtschaftspolitische Entscheidungen.


1. Was sind Finanzmärkte?

Grundsätzlich können drei Teilmärkte der globalen Finanzmärkte unterschieden werden:

Kreditmarkt: Banken vergeben Kredite an Unternehmen, Regierungen oder Privatpersonen, die damit Investitionen oder Konsum finanzieren. Für Banken gibt es Sicherheitsvorkehrungen: Sie unterliegen einer Aufsicht und müssen Mindestreserven halten.

Wertpapiermarkt: Eine wichtige Finanzierungsform von großen Unternehmen und Regierungen ist die Ausgabe von Aktien bzw. die Auflage von Anleihen. Mit einer Aktie erwirbt man einen Anteil am Unternehmen – man wird MiteigentümerIn. Anleihen sind hingegen Schuldverschreibungen, die verzinst zu- rückgezahlt werden. Auf dem „Primärmarkt“ werden neue Anleihen oder Aktien ausgegeben. Auf dem „Sekundärmarkt“ werden diese Wertpapiere dann gehandelt.
Die modernste Art von Wertpapieren sind die Derivate. Ursprünglich als Instrumente zur Absicherung entstanden, stellen sie heute Wetten mit hohem Risiko und hohen Renditechancen dar. Dieser Bereich ist in den letzten Jahren explodiert: Auf den Derivatemärkten wird täglich das 60fache der jährlichen Wirtschaftsleistung aller Industrieländer umgeschlagen. Grundsätzlich werden Wertpapiere auf Börsen gehandelt, die einer Aufsicht unterliegen. Umso bedenklicher ist es, dass der Handel mit Derivaten hauptsächlich außerhalb der Börse „over-the-counter“ (OTC) stattfindet, wo es keinerlei Kontrolle gibt.

Währungsmarkt (Devisenmarkt): Für die Abwicklung des internationalen Handels werden Währungen auf den Devisenmärkten getauscht. Hier wird der Wechselkurs, also der Preis einer Währung bestimmt. Durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs seit den 80iger Jahren haben die internationalen Devisenmärkte enorm an Umfang gewonnen. Nur ein Bruchteil der Geschäfte beinhaltet tatsächlich den Kauf von ausländischen Gütern oder das Tätigen von grenzüberschreitenden Realinvestitionen. Der Großteil sind reine Finanzgeschäfte – also Spekulation.


2. Von Bretton Woods ins Kasino

Die internationalen Finanzmärkte, wie wir sie heute kennen, sind erst in den 70er Jahren entstanden. Davor sorgte das System von Bretton Woods für Stabilität. Unter dem Eindruck der verheerenden Weltwirtschaftskrise in den 30iger Jahren haben sich die Siegermächte des 2. Weltkrieges auf ein System fixer Wechselkurse mit dem Dollar als Leitwährung geeinigt. Darüber hinaus wurde der Zu- und Abfluss von Kapital in den einzelnen Ländern durch Kapitalverkehrskontrollen geregelt. Zur Umsetzung des Systems wurden der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank (WB) geschaffen.
Trotz problematischer Seiten – vor allem der US-Dollar als Weltleitwährung – bildete das System von Bretton Woods den Rahmen für eine stabile Entwicklung in vielen Ländern und trug erfolgreich zur Verhinderung internationaler Finanzkrisen bei. 1973 brach das Bretton-Woods-System zusammen, da die USA die Leitfunktion des US-Dollar aufkündigten, unter anderem um Geld zur Finanzierung des Vietnamkrieges zu drucken. Seither schwanken die meisten Währungen frei, die Wechselkurse werden auf den Währungsmärkten gebildet. Kontrolleinrichtungen für den Verkehr von Kapital wurden sukzessive beseitigt und freier Kapitalverkehr durchgesetzt. Kapital kann sich heute um die ganze Welt bewegen. Diese Entwicklungen brachten völlig neue Akteure hervor, so genannte „institutionelle Anleger“ wie Pensions-, Hedge- und Investmentfonds, die immer weniger langfristige Investitionen in Unternehmen zum Ziel haben und immer mehr kurzfristige Spekulationsgewinne, insbesondere im Währungsmarkt: Wird z.B. erwartet, dass der Wert einer Währung steigt, kann diese zum aktuellen Kurs gekauft werden, in der Hoffnung, dass sie später zum höheren Kurs verkauft werden kann. Diese Spekulationen haben mittlerweile ein riesiges Ausmaß erreicht. Nur vier Handelstage am Währungsmarkt würden reichen, um den gesamten internationalen Handel und die Auslandsinvestitionen eines Jahres abzuwickeln. Der Rest ist Spekulation (siehe Grafik).


3. Fehlentwicklungen auf den globalen Finanzmärkten

Die Deregulierung der Finanzmärkte und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs haben weit reichende Folgen für Demokratie und Wirtschaft. FeministInnen kritisieren die männlich dominierten Entscheidungsstrukturen, die nach den Prinzipien Konkurrenz und Gewinnmaximierung funktionieren. Finanzmärkte verlieren ihre unterstützende Funktion für die Realwirtschaft, haben aber massive Rückwirkungen auf sie.

Shareholder Value regiert Unternehmen
Seit Anfang der 70er kam es zu einer Machtverschiebung zu Gunsten der AktienbesitzerInnen (Shareholder). Das Management wird dafür belohnt, den Aktienkurs hochzujagen – oft durch Massenkündigungen, Lohnkürzungen und Standortverlagerungen. Andernfalls drohen die AnlegerInnen sofort mit dem Verkauf der Aktien, also einem fallenden Kurs. Fallen die Kurse, wird es schwieriger, neues Kapital aufzunehmen und man läuft Gefahr, billig aufgekauft zu werden. Reale Investitionen brauchen lange, um Gewinne zu erwirtschaften und werden vergleichsweise unattraktiv.

Standort- und Steuerwettbewerb
Durch die Möglichkeit, Produktionsstätten oder Privatvermögen ins Ausland zu verlagern, können Konzerne und reiche Personen mit Abwanderung drohen und damit ganze Staaten unter Druck setzen. Regierungen geben den Drohungen nach und senken Sozial- und Umweltstandards ebenso wie die Steuern auf Unternehmensgewinne und Vermögen. Damit sinken die öffentlichen Einnahmen, die Staaten müssen „sparen“: Öffentliche Anteile werden privatisiert, Sozialleistungen gesenkt und Geld für Leistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege fehlt. Für Frauen haben diese Einsparungen besonders negative Folgen, da sie zum größten Teil diese Betreuungs-Arbeit unbezahlt übernehmen (müssen).

Hohe Zinsen belasten den Staat und die Wirtschaft
Freier Kapitalverkehr führt allerorts zu steigenden Zinsen, weil das Finanzkapital infolge der Liberalisierung an Macht gewinnt und seine Interessen – hohe Zinsen – durchsetzen kann. Hohe Zinsen machen aber Kredite für kleine Unternehmen, die investieren wollen, teurer. Großunternehmen investieren lieber in Finanzanlagen statt in den Betrieb. Dadurch werden weniger Arbeitsplätze geschaffen. Die steigende Arbeitslosigkeit schwächt die Gewerkschaften, wodurch die Löhne und Gehälter sinken. Die durchschnittlichen Realeinkommen stiegen seit zehn Jahren nicht, obwohl die Wirtschaft zum Teil kräftig wächst.
Auch für den Staat führen hohe Zinsen zu Problemen, weil aufgrund der gebremsten wirtschaftlichen Entwicklung die Steuereinnahmen sinken, die Kosten für Arbeitslosigkeit steigen und die Rückzahlung der Staatsschulden immer teuer wird. Das vergrößert das Budgetdefizit und der Staat muss noch mehr sparen.

Privatisierung des Pensionssystems und Sozialabbau
Bei den Pensionen haben die Kapitalmärkte grundlegende Änderungen bewirkt. Bislang zahlte die arbeitende Bevölkerung im so genannten Umlageverfahren die Pensionen der RentnerInnen. Dieser “Generationenvertrag“ basierte auf Solidarität und sozialem Ausgleich. Das soll angeblich nicht mehr finanzierbar sein, deswegen werden die Menschen – mit staatlichen Förderungen – in die private „Pensionsvorsorge“ getrieben. Das ändert nichts daran, dass die Bevölkerung altert, ist aber risikoreicher, teurer und unsozialer (siehe Attac-Positionspapier zu Pensionen). Frauen müssen trotz geringerer Einkommen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung höhere Prämien als Männer bezahlen. In Ländern, wo (teil)privatisiert wurde, steigt die Altersarmut sprunghaft an. Dennoch gibt es Tendenzen, das Kapitalmarkt-Modell auf Pflege und Bildung auszuweiten.

Gefahr für Entwicklungs- und Schwellenländer
Besonders problematisch ist die wachsende Instabilität auf den Finanzmärkten für Entwicklungs- und Schwellenländer. Aufgrund ihres zumeist wenig stabilen Banken- und Finanzsystems können sie z.B. einen plötzlichen Zu- oder Abfluss von großen Kapitalmengen nicht entsprechend abwehren. Dadurch können schwere Krisen ausgelöst werden. Oft führt das auch zur starken Abwertung ihrer Währung, was die Schulden in ausländischer Währung enorm ansteigen lässt. Die Abhängigkeit der betroffenen Länder von ihren Gläubigern steigt weiter.
Trotzdem haben Währungsfonds (IWF), Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) die Entwicklungsund Schwellenländer zur Öffnung ihrer Kapitalmärkte gedrängt. Dies führte seit den 70er Jahren zu großen Finanzkrisen: Mexiko, Asien, Russland, Argentinien, Türkei... Die Folge: Anstieg von Armut, Arbeitslosigkeit und Verschuldung.
Die Liberalisierung der Finanzmärkte hat also einen Mechanismus in Gang gesetzt, der die breite Bevölkerung weltweit verlieren lässt. GewinnerInnen sind nur einige wenige Finanzkonzerne und Vermögende.


4. Krisen

Seit dem Ende von Bretton Woods gab es laut IWF mehr als 160 Finanzkrisen. Obwohl jede Finanzkrise einzigartig ist, gibt es ein Grundmuster des Verlaufs:
1. Phase: Durch irgendein äußeres Ereignis kommt es zu Veränderungen der Erwartungen über die wirtschaftliche Entwicklung und es eröffnen sich neue Gewinnperspektiven. Gegenstand der Perspektiven kann alles sein: Tulpenzwiebeln, Immobilien, Wertpapiere oder Devisen.
2. Phase: Durch die Käufe steigen die Preise – die Erwartungen erfüllen sich, was zu Herdenverhalten führt. Ein Ansturm beginnt, Vermögenswerte werden in dieser Phase auch auf Kredit gekauft. Die Aussicht auf hohe Gewinne führt zu immer gewagteren Finanzierungen.
3. Phase: Die realen wirtschaftlichen Daten folgen dem Boom nicht. Die ersten Spekulanten verkaufen und nehmen ihre Gewinne mit. Die Preise steigen nicht mehr, was einen Teil der AnlegerInnen zwingt zu verkaufen, um ihre Kredite zu tilgen.
4. Phase: Nun beginnen die Preise zu sinken. Eine panische Verkaufswelle bricht aus, es kommt zur Flucht in andere Werte. Die Kurse fallen ins Bodenlose. Viele Unternehmen können ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen, die sie während der Boomphase bekommen haben. Banken, die keine Zahlungen erhalten, kündigen Kredite – auch solche an produktive Unternehmen, womit die Krise in der Realwirtschaft angekommen ist.

Im schlimmsten Fall bricht das Bankensystem zusammen, weil Unternehmen ihre Kredite nicht zurückzahlen können und SparerInnen massenhaft ihr Geld abziehen. Die Finanzkrise stürzt die reale Wirtschaft in eine Rezession.
Bei ausländischen Krediten übernehmen Staaten oft die Haftung, womit die privaten Schulden in öffentliche übergehen. Der Auslandsschuldendienst steigt, da der Wert der heimischen Währung durch Abwertungen verfällt. Der Staat muss sparen, Kürzungen bei den Sozialausgaben sind oft die Folge, was die Krise verschärft. Arbeitslosigkeit und Armut steigen an. Die Bevölkerung trägt die Folgen der Krise, während die Finanzinvestoren sich jeglicher Verantwortung entziehen und nicht selten mit hohen Gewinnen aus der Krise hervorgehen.

5. Forderungen
Demokratische Politik muss die Regeln für die Finanzmärkte bestimmen, damit sie den wirtschaftlichen Interessen der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen. Die Ziele müssen sein: Stabilität und langfristige Investition statt kurzfristiger Spekulation. Dafür braucht es:

Kapitalverkehrskontrollen und Kreditbeschränkungen
Um schwere Finanzkrisen zu vermeiden haben China, Chile und Malaysia erfolgreich Kapitaleinfuhr- und -ausfuhrkontrollen angewandt. Außerdem sollen Kredite verboten werden, die ausschließlich der Spekulation dienen.

Tobin-Steuer und Börsenumsatzsteuer
Mit der nach Nobelpreisträger James Tobin benannten Finanztransaktionssteuer könnten die internationalen Finanzmärkte stabilisiert werden (siehe auch Attac-Positionspapier zur Tobin-Steuer). Eine Börsenumsatzsteuer schränkt Spekulation mit Aktien und Anleihen ein.

Schließung von Offshore-Zentren
Institutionelle Anleger und Superreiche deponieren ihr Geld in Steueroasen (Offshorezentren), wo es kaum oder gar nicht besteuert und die Veranlagung kaum reguliert wird. Diese „rechtsfreien“ Zonen könnten leicht abgeschafft werden, da sie zumeist westlichen Staaten unterstehen und vom Zugang zu den globalen Finanzmärkten abhängen.

Regulierung des Derivathandels und Verbot von Hochrendite-Fonds
Besonders risikoreicher Derivathandel, der hauptsächlich spekulative Absichten verfolgt, soll stark eingeschränkt werden. Hierzu gehört besonders der unregulierte Handel außerhalb der Börsen (OTC). Hedge-Fonds (spekulieren hochriskant) sollten verboten, Private-Equity-Fonds (beteiligen sich an Unternehmen mit extremen Renditeforderungen) beschränkt werden.

Haftung der AnlegerInnen im Fall von Finanzkrisen
Derzeit können internationale AnlegerInnen getrost hohe Risiken eingehen. Im Fall einer Finanzkrise bekommen sie ihr Geld von den Schuldnerländern zurück, weil der IWF sie mit Notkrediten aus Steuergeldern aus der Patsche holt. Wenn sie die Kosten der Krise mittragen müssten, würden sie eher auf hochriskante Spekulationen verzichten. Globale Währungskooperation nach Keynes Keynes hatte den zentralen Konstruktionsfehler des Bretton-Woods-Systems schon 1944 erkannt: Nicht eine nationale, sondern eine künstliche Währung sollte die Weltleitwährung sein: der „Bancor“. Wenn die Notenbanken die Wechselkurse zum Bancor gemeinsam festlegen und verteidigen, profitieren alle von hoher Stabilität. Als Zwischenschritt zu dieser globalen Lösung könnten regionale Währungsverbünde stehen.

Reform von Weltbank und Währungsfonds
Weltbank und Währungsfonds müssen der UNO unterstellt und die Stimmrechte demokratisiert werden. Eine Weltzentralbank als letzter Kreditgeber wäre zu überlegen. Kredite müssen die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung erhalten. Die Strukturanpassungspolitik muss beendet werden.

Gerechte Verteilung und nachhaltige Entwicklung
Geld gibt es nach mehr als 50 Jahren ununterbrochenem Wirtschaftswachstum in Hülle und Fülle. Es ist unfair und für die Volkswirtschaft schädlich, dass sich dieser Reichtum in wenigen Händen konzentriert (10 Prozent besitzen in Österreich zwei Drittel des gesamten Vermögens). Es wird nicht für Investitionen und Konsum ausgegeben, was die Beschäftigung erhöhen würde. Statt dessen wird es auf die Finanzmärkte geleitet, wo es nach hohen Renditen sucht und tendenziell zu Instabilitäten, weniger Investitionen und weniger Beschäftigung führt. Eine ökonomisch sinnvolle und sozial gerechte Finanz-, Geld- und Steuerpolitik sollte daher für Umverteilung von oben nach unten, flächendeckend günstige Kredite, hohe Realrenditen und -einkommen und niedrige Finanzrenditen sorgen.


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